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Schlieker gehört zur zweiten Generation der abstrakten Maler in Deutschland – einer Generation, deren Jugend von Krieg und Barbarei überschattet war. Nach dem Krieg begründeten diese Künstler einen neuen abstrakten Expressionismus, auch bekannt als „Action Painting“, „Tachismus“ oder „Informel“.
Der Stil zeichnete sich durch nicht-gegenständliche, gestische und spontane Ausdrucksweisen aus, losgelöst von formalen Zwängen, fokussiert auf die taktile, materielle Form der Farbe. Die Kunst befreite sich von der ästhetischen Diktatur des NS-Regimes, welches alle Formen der Abstraktion verboten und als „entartet“ verfolgt hatte.
Malerei durfte einfach Malerei sein – frei von perspektivischen Illusionen, unbeschwert von didaktischen Ambitionen und so ungebunden von ideologischen Verzerrungen. Ein Werk sollte sich erst im Kopf des Betrachters vollenden – ohne versteckte Mythologien oder Erklärungen.
Noch bis Ende der 1940er Jahre war Schliekers künstlerischer Ausdruck überwiegend figurativ. Doch in den 1950er Jahren vollzog sein Werk eine entscheidende Wende zur Abstraktion. Diese Dekade war auch eine Phase persönlicher Neuanfänge: Er heiratete, zog aus Hamburg in das Ruhrgebiet, und wurde Vater seiner einzigen Tochter Claudia, meiner Mutter.
In dieser Zeit des Umbruchs entstanden einige seiner frühesten abstrakten Werke der Sammlung, darunter ein kleines, lebendiges Ölbild aus dem Jahr 1958 und mehrere Papierarbeiten aus den Jahren 1957 bis 1959.
Um Schlieker – und viele Künstler seiner Generation – zu begreifen, muss man die tiefe Sehnsucht nach Befreiung und Neubeginn verstehen, die ihre Zeit prägte.
Als Kind war mir das natürlich nicht bewusst. Ich wurde mehr als zwanzig Jahre nach seinem ersten Schritt in die Abstraktion geboren. Meine Erinnerungen an ihn sind vor allem die eines Mannes, der mit Freude ein kreatives Chaos in seinem Atelier schuf. Man konnte sich dort manchmal kniehoch durch Haufen bunten Papiermülls bewegen. Dazu erinnere ich mich an einen Großvater, der stets einen heiteren, manchmal auch zotigen Witz parat hatte, um jede steife Situation zu entschärfen.
Seine bestimmte, jedoch humorvolle Ablehnung von Zwängen und Konventionen reichte weit über Blatt und Pinsel hinaus, was wir Kinder natürlich großartig fanden.
Doch Schliekers Ansatz nur als Ausdruck des „Zeitgeists“ zu deuten, würde ihm nicht gerecht. Ein Vergleich zweier Werke in der Sammlung illustriert dies eindrucksvoll: Sein Gemälde San Pol von 1957, entstanden auf der kleinen Insel San Pol vor Neapel, strahlt eine warme, lebendige Atmosphäre aus. Dem gegenüber steht ein primär schwarz-weißes Werk von 1959, das an einem Wintertag im Ruhrgebiet entstand. Die Gegenüberstellung verdeutlicht, wie stark sein Ausdruck von Umgebung und Stimmung beeinflusst war.
Kritiker betonten später häufig, dass seine Fähigkeit, Natur und Landschaften wahrzunehmen, zu verinnerlichen und künstlerisch neu zu interpretieren, ein zentrales Merkmal seines kreativen Prozesses war.