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3 – Eine Art Künstlerische Partitur

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Als wir Teenager waren, lud uns unser Großvater einmal zur „Art Cologne“ ein, einer großen Kunstmesse in Deutschland. Dort deutete er auf verschiedene Werke, nannte mit einem kurzen Blick Namen und Bedeutung der Künstler und schickte uns los, um zu prüfen, ob es stimmte. Wir waren beeindruckt – er lag fast immer richtig.

Von da an sah ich ihn mit anderen Augen. Zuvor hatte ich die Malerei eher als aufwendiges Hobby gesehen; jetzt erkannte ich, dass es ein Handwerk war, das er sowohl in der Theorie als auch in der Praxis meisterte.

In der Tat war Schlieker nicht nur Maler, sondern auch Lehrer und Professor. So wie die Begegnungen mit der Natur seine Wahrnehmung schärften, gab ihm die Arbeit mit Studierenden Gelegenheit sein Handwerk immer wieder neu zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Schüler erinnerten sich später, wie er Bilder rigoros analysierte und sie und sich selbst anspornte, Perspektiven zu wechseln und Neues zu probieren.

Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit „visueller Grundlagenforschung“ einerseits und der Lehre andererseits setzte entscheidende Impulse für die Entwicklung seiner Kunst.

Ungeachtet seines Übergangs zur Abstraktion in den 1950er-Jahren dominierte noch bis in die frühen 70er die intellektuelle Komposition die intuitive Bewegung. Viele Werke zeichneten sich noch durch eine sichtbare formale Strenge aus – eine Art künstlerische Partitur.

Diese formale Strenge zeigte sich beispielsweise in der Verwendung geometrischer Formen in seinen Kompositionen. Beispiele dafür finden sich in einem Werk von 1959/60, einer Radierungsserie von 1968 und einem Gemälde aus dem Jahr 1969.

In seinen späten Jahren griff er diesen mit einer spielerischen Wendung wieder auf: Er schnitt Fragmente alter Werke aus, montierte sie auf Leinwände und übermalte sie mit frischen Farbschichten. Die Sammlung umfasst zwei solcher Collagen aus den Jahren 1998 und 2002.

Dazu waren abstrakte Formen noch ganz in den Rahmen des Bildes eingebettet, wie es die Gouachen von 1960 und 1961 zeigen. Später durchbrach die Malerei zunehmend den Bildrahmen. Dem Betrachter scheint die Bewegung somit weiter und mächtiger, hin oder weg von imaginären Zentren, fern außerhalb des Bildrandes.

 

Die Verwendung konstruktiver „Gegenelemente“ in gestischer Malerei spiegelt eine Überlegung wider, die gleichsam simpel und philosophisch ist: Ein Konzept gewinnt erst im Verhältnis zu seiner Umkehrung Bedeutung. Das Gegenelement erzeugt Spannung zwischen Prozess und Struktur, Zufall und Absicht, Emotion und Kalkulation und hilft damit scheinbar willkürliche Gesten in ein Bild zu verwandeln.

Ähnlich wie beim Aufblasen eines Ballons will man Spannung aufbauen, ohne dass die Struktur kollabiert. In diesem Sinne erfordert visuelle Qualität nicht nur aktives Handeln, sondern auch ein intuitives Gespür aufzuhören.